„Wir sind reif für eine Verkehrsministerin!“
07.03.2022 | People & Society
Rebecca Peters ist die neue Chefin des ADFC. Im Interview spricht sie über die Neuausrichtung des größten deutschen Fahrradverbands, weibliches Mobilitätsverhalten – und ihr erstes Fahrrad.
Hallo Rebecca, bist du in deiner Kindheit eigentlich viel Fahrrad gefahren – oder hat da eher das Auto dominiert?
Ja, in der Kindheit und im Grundschulalter war ich sehr viel mit meinem Rädchen unterwegs. Wir haben in Köln gewohnt, die Wege waren kurz und alles war zentral gelegen und sogar zu Fuß erreichbar.
Und wann kam das Auto?
Als es schwieriger für meine Eltern wurde, zwei Kinder unterschiedlichen Alters unter einen Hut zu bekommen, und wir umgezogen sind. So mit 11, 12 Jahren war das Auto dann komplett normal und blieb es sehr unreflektiert bis ins junge Erwachsenenalter hinein. Ich habe wie alle in meinem Umfeld den Führerschein gemacht und bin viele Wege mit dem Auto gefahren. Wenn man das nicht hinterfragt, übernimmt man einfach, was man kennt und gewohnt ist.
Du wirst in Interviews häufig gefragt, wo deine Begeisterung für das Thema Mobilität herkommt. Aus Deutschland stammt sie nicht, oder?
Das ist vollkommen richtig! (lacht) Der erste Funke ist in Kopenhagen übergesprungen. Da habe ich wirklich gemerkt, hey, Mobilität ist ein echt spannendes Thema und das könnte sehr anders laufen. Wir waren dort als Geograf*innen auf Exkursion mit der Uni. Da habe ich das erste Mal wirklich ganz bewusst miterlebt, wie Radfahren sein kann. Wie Fortbewegung sich anfühlen kann. Und wie Stadtentwicklung funktionieren kann.
Du bist seit Ende 2021 die neue Chefin des ADFC – ein riesiger Verband mit über 200.000 Mitgliedern, etwa 11.000 Ehrenamtlichen, rund 500 Kreisverbänden. Wie kriegst du das neben dem Studium noch gebacken?
Gutes Zeitmanagement und sehr viel Engagement. Man muss dafür brennen, du musst da wirklich Bock drauf haben, sonst funktioniert es nicht. Auch ohne unsere Geschäftsstellen in Berlin und Bremen mit den 40 hauptamtlich Mitarbeitenden, die unser tägliches Geschäft rocken, uns als Vorstand briefen und alles organisieren. Aber ja, ich muss auch den einen oder anderen privaten Termin hintanstellen.
Bleibt noch Zeit für Interessen abseits von Studium und Fahrrad?
Ja, total. Es gibt trotzdem noch den Privatmensch Rebecca, der gerne mit Freund*innen weggeht, Spieleabende macht oder zum Sport geht. Es gibt ganz klar Abende, an denen ich sage: Leute, heute findet kein ADFC statt, heute bin ich nur für mich. Das ist etwas, das ich auch im Zusammenhang mit der Klimagerechtigkeitsbewegung immer wieder sehe: Wir ackern uns alle ziemlich kaputt, wir opfern sehr, sehr viel und müssen mehr auf uns selbst aufpassen.
Welche Ziele hast du für den ADFC?
Ihn neu aufzustellen – moderner, politischer, diverser. Daran wollen wir noch stärker arbeiten. Es ist zwar schon sehr viel passiert, sonst wäre es mir, einer jungen Frau, eher nicht möglich gewesen, für so ein Amt zu kandidieren – und mit solch einem großen Rückhalt gewählt zu werden. Aber wir sind eben noch nicht am Ende. Außerdem: Mitgliederwachstum und Aktivengewinnung, ein Leitbild entwickeln, nach außen Geschichten erzählen, wer wir sind, was wir fordern und wie diese Verkehrswende überhaupt aussehen kann.
Es gab erst ein Mal eine Frau an der Spitze des ADFC, 1986. Bist du angetreten, um den Verband weiblicher zu machen?
Ja, schon. Aber auch jünger! Als die letzte Vorsitzende dran war, da war ich noch lange nicht auf der Welt! Und jetzt sind wir an der Spitze mit einer Vorsitzenden und zwei Geschäftsführerinnen sehr weiblich aufgestellt und ich finde, das merkt man schon.
War denn vorher alles schlecht?
Es war einfach anders. Jetzt gibt es ein neues Miteinander und es finden ganz andere Themen Platz. Ja, der Verband hatte Veränderung ganz klar nötig. Wir brauchen viel mehr junge Menschen, viel mehr Frauen auch in Führungspositionen, wenn dieser Verband eine Zukunft haben soll. Eine gesunde Mischung zu erreichen, ist wichtig.
Worin unterscheiden sich denn weibliches und männliches Mobilitätsverhalten?
Es ist nicht das Geschlecht, sondern die damit verbundene Rollenzuweisung. Wir leben immer noch in einer patriarchalen Gesellschaft mit sehr klassisch verteilten Rollen: Der Mann geht morgens aus dem Haus, fährt zur Arbeit und fährt abends wieder zurück. Und zwar mit dem Auto, weil er natürlich der Besserverdienende ist, und weil der Weg ideal für das Auto geschaffen ist. Die Frau hingegen ist meistens mit Einkäufen und mit Menschen unterwegs, leistet Care-Arbeit, kümmert sich um Kinder, organisiert Termine. Sie hat viel kürzere und mehr Wege, die eben nicht von A nach B verlaufen, sondern wie ein Netz innerhalb eines Quartiers. Plus, sie hat natürlich kein Auto zur Verfügung, weil das nutzt ja der Mann.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Verkehrsministerin. Wurde Verkehrspolitik zu lange von Männern gemacht?
Definitiv! Es ist das Patriarchat in Reinform. Viele Planer und politische Entscheidungsträger können diese weibliche Perspektive von multimodalen Wegeketten und von Care-Arbeit gar nicht miteinbeziehen, weil das nicht ihre Lebensrealität ist. Daher ist unser Mobilitätssystem sehr stark auf weiße und auf männliche Mobilität ausgerichtet. Ich glaube, wir sind reif für eine Verkehrsministerin.
Wer wäre eine gute Kandidatin?
Ich würde mich immer für Katja Diehl aussprechen. Und dann würde ich mich vielleicht auch freuen, irgendwann ihre Nachfolgerin zu sein. Aber es gibt so viele qualifizierte und talentierte Frauen dafür! Wichtig wäre vor allem dieser Perspektivwechsel, und dass nicht nur der oder die Minister*in wechselt, sondern auch alles, was nachgeordnet kommt.
Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung hat knapp 180 Seiten, davon rund fünf Zeilen für den Rad- und Fußverkehr. Was hast du beim ersten Lesen gedacht?
Ich dachte: Puh, das ist wenig! Sehr viele Seiten Antriebswende, sehr wenige Zeilen Verkehrswende. Das war ernüchternd. Letzten Endes steht drin, dass der nationale Radverkehrsplan umgesetzt werden soll. Wenn das 1:1 geschieht, dann wäre extrem viel gewonnen. Das einzige Problem ist: Er ist nicht verbindlich und fraglich ist, welche Teile umgesetzt werden und wie und wer macht’s und überhaupt? Da sind noch viele Fragezeichen dran an die wir nun Ausrufezeichen setzen möchten.
Was sind für dich denn die Kernpunkte dieses Plans?
Es geht um drei große Bausteine. Erstens: das Straßengesetz ist komplett veraltet, das entspricht nicht mehr unserer heutigen Zeit und unseren Ansprüchen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir immer noch eine Klimakrise zu bewältigen haben. Es gehört gesetzlich verankert, dass der Verkehrssektor da liefern muss. Zweitens: Es braucht viel mehr finanzielle Ressourcen für den Radverkehr. Und zwar nicht nur Förderprogramme, sondern einen stetigen Geldfluss, um auch finanzschwache Kommunen zu fördern und ihnen eine langfristige Planung zu ermöglichen. Was kann man in drei Jahren bei den Planungshorizonten großartig planen? Da wird keine Stadt nachhaltig umgebaut werden können. Und drittens: wenn es nicht an den finanziellen Ressourcen scheitert, dann an den personellen. Alle sind chronisch unterbesetzt und wir brauchen Planer*innen, die Radverkehr planen können. Es kann nicht sein, dass wir als Fahrradland Deutschland Planer*innen aus Dänemark und den Niederlanden ausleihen müssen, weil wir keine eigenen haben. Dazu braucht es mehr Ausbildung und Fortbildung. Es muss klar sein, dass man als Straßenverkehrsplaner*in nicht nur Autobahnen plant, sondern eben auch protected bike lanes und geschützte Kreuzungen.
Wer sich ein E-Auto kauft, kann eine staatliche Förderung bekommen. Wäre es an der Zeit, auch private E-Bikes zu fördern?
Es wird generell sehr wenig ans Fahrrad gedacht. Vor einer Weile haben wir mal eine Mobilprämie gefordert, mit der Menschen ihre ÖPNV-Tickets oder eine Bahncard fördern lassen können oder eben ein E-Bike oder Lastenrad. Damit nachhaltige Mobilität insgesamt gefördert wird. Natürlich sind E-Autos ein Teil der Verkehrswende, dafür braucht es die Antriebswende. Aber sie sind nicht alles. Menschen sollen sich ein E-Bike zulegen können, mit dem sie letzten Endes ein Auto ersetzen können.
Ein häufiges Argument von Autobesitzer*innen lautet: Bestimmte Wege kann ich nicht mit dem Fahrrad machen.
Ich kenne genug Leute, die das Gegenteil beweisen. Ganz häufig ist es kein „Das geht nicht“, sondern „Ich kann es mir nicht anders vorstellen“. Aber klar, manche Wege, die wir mit dem Auto fahren, sind zum Teil mit dem Fahrrad nicht schön oder nicht machbar, weil es zum Beispiel Landstraßen ohne Radweg sind. Oder es ist viel zu transportieren vom Baumarkt. Aber auch da habe ich schon Lastenradkonstruktionen gesehen, die wirklich jedem Auto Konkurrenz machen. Trotzdem gibt es teils ganz wilde Argumentationen für einen „Maximal-Eventuell-Bedarf“, nach dem Motto: „Aber wenn ich mal 400 km entfernt drei Waschmaschinen… im Schichtdienst… Das geht wirklich nicht, also brauche ich mein Auto!“ Ja, wenn ich das machen müsste, dann würde ich mir für den Fall einen Transporter leihen. Es geht anders und wir müssen dafür sorgen, dass Menschen sich das ganz realistisch vorstellen und dann auch leben können.
Wie viele Fahrräder besitzt du?
Eins. (lacht) Ja, da bin ich sehr untypisch für die Fahrradblase, aber ich habe tatsächlich genau ein Fahrrad und das ist mein treuer Begleiter, ein Trekking-Rad ohne Motor, das ich gebraucht gekauft habe.
Und weißt du noch, wie dein allererstes Fahrrad aussah?
Ich weiß nicht, ob es das noch gibt, aber es war ein Puky Tigerentenfahrrad mit Stützrädern und ich war stolz wie Bolle! Ich hab’s so geliebt! (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch, Rebecca!
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Rebecca Peters, Jahrgang 1996, ist Verkehrsgeographin mit Schwerpunkt nachhaltige Stadtentwicklung. Seit 2018 sitzt sie im ADFC-Vorstand für Verkehrspolitik und war stellvertretende Bundesvorsitzende. Seit Herbst 2020 studiert sie im Master Urban Development and Governance. Mit dem ADFC möchte sie dem Wandel der Mobilität eine Stimme und ein Gesicht geben und Menschen von der Mobilität der Zukunft begeistern.
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Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) setzt sich als Interessenvertretung für die Förderung des Radverkehrs und die Verkehrswende in Deutschland ein. Seinen rund 200.000 Mitglieder*innen bietet er u.a. Pannenhilfe, Versicherungen und Rechtsberatung. Der Verein wurde 1979 gegründet und ist der größte Fahrradverband der Welt.