Nachhaltiges Wirtschaften mit 360-Grad-Blick.
04.03.2021 | People & Society
Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e. V. gibt der grünen Wirtschaft – darunter Riese & Müller – eine Stimme. Seine Geschicke lenken Dr. Katharina Reuter und ihr Führungsteam. Im Interview sprechen wir mit Katharina über ihren Weg in den und mit dem Verband und was wir für faires Wirtschaften brauchen.
Katharina, wie kamst du zum Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e. V. (BNW, ehem. UnternehmensGrün)?
Ich wollte Bäuerin werden und habe Agrarökonomie in Berlin studiert. Dort bin ich dann aktiv in die Kommunalpolitik eingestiegen. Über Stationen im Agrar-Marketing für Bio-Lebensmittel und ein Engagement in der Zukunftsstiftung Landwirtschaft habe ich dann bei der GLS Treuhand in Bochum Geld an sinnvolle Projekte vergeben. Ich habe sozusagen die andere Seite der Tür kennen gelernt, an der ich vorher selbst gekratzt habe.
Als ich dann Kinder bekommen habe, bin ich zurück nach Berlin gegangen. Ich hatte mir einen Job mit weniger Verantwortung gewünscht. Das hat nicht so gut geklappt (lacht). Ich habe stattdessen für drei Jahre die Geschäftsführung der Klima-Allianz übernommen. Ein tolles und sehr kräftezehrendes Thema in einem komplexen NGO-Bündnis.
2014 kam ich zum BNW, kürzlich noch unter dem Namen UnternehmensGrün bekannt. In meiner Position als Geschäftsführerin kommt alles zusammen, was ich gut kann: Ich kann politisch aktiv sein, netzwerken und mein Generalistenwissen in den unterschiedlichen Bereichen voll einbringen. Wir bündeln Bewegungen mit einem 360°-Blick auf die Wirtschaft. Es ist mein absoluter Traumjob.
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Wir haben das Konzentrationslager in Auschwitz besucht und da wurde mir klar, dass man in der Gesellschaft nicht einfach nur danebenstehen darf. Und weil es anderen auch so ging, haben wir uns auf regionaler Ebene zur Grünen Jugend zusammengefunden. Da es noch gar keinen Bundesverband gab, haben wir dann bundesweit die Grüne Jugend aus der Taufe gehoben.
Ich war diejenige, die ihre Eltern mit Grünkernbratlingen gequält und dem Vater, einem Musiker, damit in den Ohren gelegen hat, warum er denn unbedingt mit dem Auto zu seinen Konzerten fahren müsse – auch wenn so ein Horn ein eher schweres Instrument ist.
Was würdest du sagen sind bis heute eure größten Erfolge?
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Ökosteuer, auch wenn das beides schon etwas länger her ist. Dann unser Kampf David gegen Goliath zu den Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA). Wir haben es geschafft, dass die Presse am Ende geschrieben hat, dass es viele kritische Stimmen aus dem Unternehmensmittelstand gibt.
Im Zuge der „Fridays for Future“-Bewegung konnten wir erfolgreich die Stimme der Wirtschaft bündeln, mit unserer Initiative „Entrepreneurs for Future“, die weit über den Mitgliederkreis des Verbands hinausgeht. Und aktuell setzen wir uns für ein ambitioniertes Lieferkettengesetz ein.
Wie siehst du den Faktor Diversität vor dem Hintergrund nachhaltigen Wirtschaftens?
Diversität gehört auf jeden Fall dazu und es ist schön zu sehen, dass das immer mehr ins Bewusstsein dringt. Schritt für Schritt kommen wir voran. Nachhaltigkeit wird ja häufig als auf drei Säulen fußend wahrgenommen: Es gibt eine ökologische, eine ökonomisch und eine soziale Dimension. Oft wird auch noch die kulturelle Dimension hinzugezählt. Und in dem Punkt erleben wir stark, wie anders Gruppen agieren, wenn sie divers zusammengesetzt sind.
Wenn wir mal nur die Frauen fokussieren – man kann doch nicht ernsthaft die Perspektive der halben Bevölkerung außen vorlassen. Aber das ist ein Veränderungsprozess. Bei UnternehmensGrün haben wir in der Führung auch mit zehn Männern und mir als Frau angefangen. Heute ist die Verbandsführung satzungsgemäß paritätisch besetzt. Wir haben alle Luft nach oben, das muss man ganz klar sagen. Als Beispiel fällt mir gerade Raul Krauthausen ein. Wenn er aus der Perspektive eines Menschen im Rollstuhl ganz grundlegende Dinge erklärt, dann ist das sehr inspirierend und man kann sehr viel für sich lernen, wie eingeschränkt unsere angebliche „normale“ Sichtweise ist.
Wunschkonzert: Was sind für dich die optimalen Bedingungen für nachhaltiges Wirtschaften?
Es ist richtig fies, dass es ein Wunschkonzert sein muss. Ich wünsche mir eigentlich nichts Anderes als faire Marktbedingungen. Gleiche Regeln für alle. Die großen Konzerne stellen sich hin und sagen, „lass‘ das mal den Markt regeln“, weil es ihnen vor dem Hintergrund der aktuellen Gegebenheiten in die Karten spielt. Aber es gibt nun mal keinen fairen Markt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Dazu müsste erst einmal ehrlich bepreist werden. Beim Thema CO2 bewegen wir uns in Minischritten auf den richtigen Weg zu.
Das Lieferkettengesetz ist ja richtig in die Hose gegangen, gemessen an dem, was möglich gewesen wäre. Da sind Unternehmen vorausgegangen, in der Erwartung, dass die Politik ein Level-Playing-Field schafft. Und genau diese Pioniere stehen jetzt benachteiligt da. Wenn Deutschland den Konsens erreichen will, bis 2050 klimaneutral zu sein, dann brauchen wir andere Regeln.
Und wie passt dazu das Streben nach Wachstum?
Unsere letzte Jahrestagung hatte die ökologisch-soziale Marktwirtschaft zum Thema. Ein wichtiges Ergebnis: Nachhaltig orientierte Firmen dürfen ruhig weiterwachsen. Wachstum ist erstmal nicht das Problem. Es ist viel mehr die Frage, was wachsen soll. Trotzdem muss man sich Gedanken machen, wie wir ökonomische Ziele bei gleichzeitig geringerem Ressourcenaufwand erreichen. Ein Aspekt ist etwa, den Abfall zu reduzieren und den Schritt hin zu einer Kreislaufwirtschaft zu machen.
Bei unseren Mitgliedern gibt es das Wachstumsdogma auch gar nicht so sehr, das ergibt sich schon aus der gleichberechtigten Betrachtung der drei Säulen der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke, Katharina!
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Die Agrarökonomin Katharina Reuter engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren für die nachhaltige Wirtschaft – zunächst in Lehre und Forschung, dann im Stiftungs- bzw. Verbandsbereich. Schon als Beraterin für Bio und Nachhaltigkeit arbeitete sie eng mit Unternehmen zusammen.
Katharina hat verschiedene Organisationen mit aufgebaut und im Vorstand/ Aufsichtsrat begleitet, ist u.a. Mitbegründerin der European Sustainable Business Federation (Ecopreneur.eu), der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg und von „Entrepreneurs For Future“.
Innovative Nachhaltigkeitsprojekte begeistern sie – mit Herzblut engagiert sie sich daher in der Jury für den Deutschen Umweltpreis oder den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Seit 2014 führt sie die Geschäfte des BNW.
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Der Verband wurde 1992 als UnternehmensGrün gegründet. Initialer Impuls war die Überzeugung, dass Ökologie und Wirtschaftlichkeit kein Widerspruch sind. Heute tragen diese Ideen mehr als 400 Mitgliedsunternehmen.
Ziele
- Ökologisch orientiertes Wirtschaften und soziale Verantwortung von Unternehmen
- Soziale Kreativität von Unternehmen für die Wettbewerbsfähigkeit von morgen
- Förderung einer regionalen, klein- und mittelbetrieblich ausgerichteten Wirtschaftsstruktur
- Impulse für eine umweltorientierte Förder-, Steuer- und Abgabenpolitik
- ökologisch orientierte Beschaffungs- und Investitionspolitik
Katharinas Start-ups zum Verlieben
Wir haben Katharina Reuter nach ihren aktuellen „Lieblings“-Start-ups gefragt – keine leichte Aufgabe, sich aus mehr als 400 Mitgliedern drei auszusuchen.
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Das soziale und ökologische Unternehmen fördert durch die Gewinne seiner fairen Bio-Kaffee- und Teeprodukte unabhängige und gemeinnützige Projekte mit den Schwerpunkten Inklusion von Menschen mit Behinderung, die Förderung von ökologischen Projekten mit Engagement auf Kreislaufwirtschafts-Projekten sowie Initiativen zur Lebensmittelrettung.
Das geschieht etwa in Form transparenter Vereinsspenden pro verkauftem Produkt, durch Nutzung von Verbrauchsmaterialen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung erstellt wurde, oder durch Bündelung und Zuführung von Privatspenden.
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Das gemeinnützige Unternehmen aus Hamburg ist Teil der Viva con Agua Family und unterstützt Sanitärprojekte, klärt über Sanitärthemen auf, unterstützt Forschung zum Thema Nährstoffrecycling, pflanzt Bäume auf „selbstgemachter“ Erde und fördert soziales ehrenamtliches Engagement.
Bekannt geworden ist Goldeimer vor allem durch den Einsatz seiner Sägespäne-Komposttoiletten auf Festivals in ganz Deutschland und, aktuell, durch die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne des Antirassistischen Klopapiers.
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Quartiermeister ist eine Biermarke und ein Social Business, bestehend aus einem Unternehmen und einem Verein. Von den Erlösen (10 Cent pro verkauftem Bier) profitieren soziale Projekte im jeweiligen Kiez. Der Verein kontrolliert dabei das satzungsgemäße wirtschaftliche Handeln des Unternehmens. Jedes Vereinsmitglied kann dabei mitentscheiden, welche Projekte unterstützt werden.